Von Hubert Langor
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Iserlohner Kreisanzeigers (IKZ online vom 13.11.2024)
Hemer. Martin-Luther-Kantorei und Wittener Bach-Chor haben unter Leitung von Kirchenmusikdirektorin Meike Pape das Werk in der Ebbergkirche aufgeführt.
Kaum jemand denkt gerne über den Tod nach. Das Christentum hat jedoch, insbesondere für den Monat November, Traditionen entwickelt, die es erleichtern, auch über diesen Abschnitt des Lebens reflektieren zu können. Eine davon ist das Requiem, also eine Totenmesse, das neben seiner Funktion anlässlich einer Beerdigung auch schon seit jeher als Konzertform diente. Als das wohl herausragendste Werk dieser Sparte sticht das „Requiem d-moll“ von Wolfgang Amadeus Mozart besonders heraus. Das Werk wurde von der Martin-Luther-Kantorei und dem Wittener Bach-Chor am Samstag in der Ebbergkirche aufgeführt.
Es ist schon sehr erfreulich, dass in der kirchenmusikalischen regionalen Chorszene noch immer die Kraft, die Motivation und vor allem auch die fachlichen Qualitäten vorhanden sind, um zentrale, große Werke der Chorliteratur aufführen zu können, sodass man als Musikliebhaber nicht unbedingt in die Ruhrmetropolen oder nach Köln reisen muss. So schafft es Kirchenmusikdirektorin Meike Pape, Kantorin der Ev. Kirchengemeinde Hemer, immer wieder, auch die nur mit großer Besetzung möglichen, musikalisch aufwendigen und anspruchsvollen Kompositionen der Chormusik mit durchschlagendem Erfolg zu präsentieren – wie in diesem Jahr, am historisch bedeutsamen 9. November, das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart.
Hohe Klangkultur und stimmliche Präsenz
Dieses zentrale Werk Mozarts ist von unzähligen Mythen, Legenden und Geschichten umgeben. So wird in der Schlussszene des Films „Amadeus“ sogar suggeriert, dass Mozart seinem Erzfeind und mutmaßlichen Mörder Salieri die letzten Takte des „Confutatis“ in die Feder diktiert hätte. Tatsächlich ist Mozarts Requiem unvollendet geblieben und von mehreren Komponisten ergänzt und zu Ende geschrieben worden.
Meike Pape hatte sich für die wahrscheinlich authentischste Version von Franz Xaver Süßmayr entschieden, der Mozart als einer seiner Schüler am nächsten stand und der über reichlich Informationen über die beabsichtigte Vollendung des Requiems verfügte.
Das Publikum in Hemer wurde zunächst einmal musikalisch auf das Hauptwerk des Abends behutsam vorbereitet und eingestimmt. Der Chorverband aus Martin-Luther-Kantorei Hemer und dem Wittener Bach-Chor, beide unter der Leitung von Meike Pape, zeigte gleich zu Beginn mit den sowohl musikalisch als auch inhaltlich sehr ausdrucksstarken Motetten von Felix Mendelssohn Bartholdy, „Richte mich, Gott“ und „Herr, sei gnädig“ a cappella, über welch hohe Klangkultur, Einheit und stimmliche Präsenz diese beiden Chöre verfügen.
Miteinander von Chor und Orchester
Das Orchester „La Réjouissance“ ebnete anschließend mit einer wunderschönen, ruhigen und abgeklärten Interpretation des wohl bekanntesten Werkes von Samuel Barber, dem „Adagio for Strings“, den Weg hin zum Requiem. Dieses beginnt im Introitus mit vorsichtig vorantastenden, das Unheil quasi ankündigenden Streichern, ein Fagott trägt das bestimmende Motiv vor, das von einem der das Klangbild dieser Komposition bestimmenden Bassetthörner aufgegriffen und umspielt wird.
Die Posaunen und die Pauke bereiten dann den kraftvollen und dramatisch aufwühlenden Einsatz des Chores vor. Das folgende Kyrie, klangstark, mächtig und bewegt zugleich, stellt mit seiner komplexen Fuge die Klammer des Requiems dar, wird es doch zum Schluss lediglich mit dem Text „Lux aeterna“ unterlegt, noch einmal wiederholt – ein mitreißendes, bewegendes und emotionsgeladenes, polyphon sich immer weiter aufschichtend angelegtes Miteinander von Chor und Orchester, das, musikhistorisch abgesichert, auch wirklich von Mozart stammt.
Dramatik einer erschütternden Musik
Bereits bis hierhin treten die Stärken des Gesamtensembles augenfällig hervor: Die Stimmen des Chorverbandes packen ihre Aufgabe engagiert, prägnant akzentuierend und durchaus auch forciert an, um die vom Komponisten an vielen Stellen so gewollte Dramatik der erschütternden Passagen voll zum Ausdruck zu bringen. Dabei verbleiben sie in erster Linie immer im Dienste eines ausgeglichenen und transparenten Chorklangs, übertreiben nicht pathetisch oder vernachlässigen die musikalische Struktur zugunsten von Effekthascherei.
Das Ensemble „La Réjouissance“ überzeugt mit seinem homogenen Instrumentalkorpus und absolut tadelloser Leistung und gab dem Chor, aber auch den Solisten, vollkommene Sicherheit. Die Solisten wiederum (Steffanie Patzke/Sopran, Michaela Günther/Mezzosopran, Laurin Opperman/Tenor, Gerrit Miehlke/Bass) agierten stimmlich souverän und in ihren Einsätzen, die in diesem Requiem in erster Linie als Quartette eingefügt sind, immer zueinander dynamisch ausgewogen und hellwach im Miteinander mit Chor und Orchester.
Auch im gleichzeitig dramatischen und tröstenden „Confutatis“, im klagend-sehnsuchtsvollen „Lacrimosa“, im bewegt nach vorne drängenden „Offertorium“ oder im prächtig strahlenden „Sanctus“ (Dur!) hielt das Gesamtensemble die ungemeine Spannung der an der menschlichen Existenz rüttelnden Dramatik aufrecht, ohne die durchaus auch vorhandenen versöhnlichen Anteile des Requiems zu vernachlässigen.
Das alles konnte wirklich niemanden unberührt lassen – Emotion pur. Die offene Quinte am Schluss (Dur oder Moll?) gibt nicht die so herbeigesehnte Klarheit, signalisiert aber doch: Wir wissen es zwar nicht, aber wir glauben an ein Leben nach dem Tod.